Polizeireviere im Rems-Murr-Kreis brauchen dringend Verstärkung
Kleine Anfrage der FDP-Abgeordneten Julia Goll und Jochen Haußmann zeigt reale Polizeistärke auf:
Um die personelle Besetzung bei der Polizei im Rems-Murr-Kreis ist es nicht gut bestellt: In den fünf Polizeirevieren des Kreises (Backnang, Fellbach, Schorndorf, Waiblingen und Winnenden) fehlen mehr als 64 Polizistinnen und Polizisten – im Vergleich zu den 424 Personalstellen, die der Landeshaushalt dafür vorsieht. Dies geht aus der Antwort der Landesregierung zur Kleinen Anfrage der beiden FDP-Landtagsabgeordneten des Rems-Murr-Kreises, Julia Goll und Jochen Haußmann, zum „Polizeivollzugsdienst im Bereich des Polizeipräsidiums Aalen“ hervor. Ohne temporäre Verstärkungen durch Abordnungen, interne Umsetzungen oder im Praktikum befindliche Anwärterinnen und Anwärter wäre die Situation im Polizeivollzugsdienst sogar noch erheblich prekärer: So waren zum Stichtag 1. April 2023 über 121 Vollzeitstellen/ VZÄ (Polizeirevier Backnang 24,6 Vollzeitstellen, Fellbach 19,7 Stellen, Schorndorf 33,1 Stellen, Waiblingen 32,7 und Winnenden 11,1 Vollzeitäquivalente) nicht besetzt.
„Diese Zahlen belegen deutlich, wie angespannt sich die reale Situation auf den Polizeirevieren im Rems-Murr-Kreis darstellt,“ betont Julia Goll, Waiblinger FDP-Abgeordnete und innenpolitische Sprecherin der FDP/DVP-Fraktion im Stuttgarter Landtag. Anlass der Anfrage waren die laut Goll „sehr kreativ gestalteten Zahlen“, die Innenminister Thomas Strobl im Oktober auf Nachfrage des Stuttgarter FDP-Abgeordneten Friedrich Haag der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Bei seinen Angaben zur Personalsituation der Polizei in Baden-Württemberg hatte Strobl zunächst mit „Brutto-Zahlen“ geantwortet – bei denen er auch Teilzeit-beschäftigte, Dienstunfähige, Schwangere, Beamte in Elternzeit sowie Abordnungen oder interne Umsetzungen bei der Personalstärke miteingerechnet hatte. Nach dieser „Brutto-Berechnung“ ergeben sich etwa für das Polizeirevier Schorndorf 99 zugewiesene statt der im Haushaltssoll vorgesehenen 90 Stellen, in Waiblingen 107 statt 101 Stellen.
„Mit den nun vorliegenden aktuellen Zahlen ist der Versuch des Innenministers gescheitert, die Personalsituation auf den Polizeirevieren im Land schönrechnen zu wollen“, unterstreicht Jochen Haußmann, der im Landtag den Wahlkreis Schorndorf vertritt. „Die Personalsituation in den Polizeidienststellen ist mehr als kritisch“, ergänzt Goll. Die von Strobl seit Jahren gepriesene „größte Einstellungsoffensive bei der Polizei“ bezeichnet sie als „reine Worthülse“, die nicht länger darüber hinwegtäuschen könne, dass damit kaum mehr als die durch Pensionierungen freigewordenen Stellen besetzt würden.
Goll: „Wenn Innenminister Strobl erst jüngst darauf hingewiesen hat, dass gegenüber dem Jahr 2016 aktuell etwa 300 Polizeikräfte mehr im Dienst sind, täuscht er darüber hinweg, dass sich aufgrund der gestiegenen Bevölkerungszahl tatsächlich die Polizeidichte in Baden-Württemberg verschlechtert hat.“ So lag das Betreuungsverhältnis 2016 bei 447 Einwohnern pro Polizeibeamten (10,951 Mio. Einwohner/ 24.488 Polizistinnen und Polizisten*), im Jahr 2023 kam ein Polizeibeamter auf 454 Einwohner (11,28 Mio. Einwohner/ 24.821 Polizeibeamte). Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft merke seit langem an, dass man in Baden-Württemberg bei der sogenannten Polizeidichte (je 100.000 Einwohner) bundesweit seit vielen Jahren auf dem letzten Platz liege. Im Polizeipräsidium Aalen, zu dem die Reviere des Rems-Murr-Kreises zählen, ist es um diese sogar noch schlechter bestellt als im Landesdurchschnitt: Hier kommen 1.395 Planstellen im Polizeivollzugsdienst auf rund 941.000 Einwohner – was einem Betreuungsverhältnis von 674 Bürgern je Polizeibeamten entspricht.
„Unsere Polizistinnen und Polizisten sind seit Jahren überbelastet“, betonen Goll und Haußmann. So habe sich zwar die Anzahl der Einsätze im Polizeipräsidium Aalen von 80.736 (2021) sowie 84.542 (2022) bis zum Stichtag 23. November 2023 auf 78.170 Einsätze verringert – allerdings sei das Einsatzgeschehen der vergangenen beiden Jahre insbesondere durch die COVID-19-Pandemie und die damit einhergehenden Infektionsschutzmaßnahmen beeinflusst gewesen. Zugleich hatte die Landesregierung das Betriebsbudget des Polizeipräsidiums Aalen von 3,15 Millionen Euro in 2018 und 3,56 Millionen in 2021 auf 2,99 Millionen Euro für 2023 trotz schon bekannter Steigerung der Inflationsrate reduziert – weshalb die Landesregierung nachträglich Entnahmemöglichkeiten aus der Rücklage für Inflations- und Energiepreisrisiken schaffen musste.
Die beiden stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden fordern, dass alle im Haushalt eingeplanten Personalstellen bei der Polizei so schnell wie möglich zu besetzen sind. „Den Versprechungen des Innenministers müssen nun endlich Taten folgen“, so Goll und Haußmann. Zudem müssten von vornherein mehr Stellen geschaffen und finanziert werden, um Dienstausfälle – beispielsweise durch Langzeitabordnungen, Krankheit oder Elternzeit – besser kompensieren und damit eine verlässliche Besetzung in den Polizeirevieren gewährleisten zu können. Dies sei „nicht nur dringend gefordert, um die Polizeibeamten endlich zu entlasten, sondern auch, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.“
*Angaben zu Zahlen der Polizeikräfte: Innenministerium Baden-Württemberg; Zahlen zur Einwohnerzahl: statista
Für weitere Informationen:
Kleine Anfrage der Abgeordneten Julia Goll und Jochen Haußmann FDP/DVP:
„Der Polizeivollzugsdienst im Bereich des Polizeipräsidiums Aalen“ (Drucksache 17/5854)