Wechsel vom Sprachkurs in den Job muss einfacher werden

Je länger der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert, desto wahrscheinlicher wird es, dass ein Teil der Menschen aus der Ukraine dauerhaft oder für einen langen Zeitraum in Deutschland bleiben wird. „Die Bemühungen um eine Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt müssen deshalb dringend intensiviert werden“, betonen die FDP-Landtagsabgeordneten des Rems-Murr-Kreises, Julia Goll und Jochen Haußmann. Bereits im März 2022 hatten die EU-Staaten beschlossen, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ohne Asylverfahren eine Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz bekommen, die ein unbeschränktes Recht auf Arbeit beinhaltet. In Deutschland wird diese Aufent-haltserlaubnis vorerst für zwei Jahre erteilt. Nun müsse die Landesregierung endlich Rahmenbedingungen schaffen, die den Menschen „den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern“, sind sich die beiden stellvertretenden Vorsitzenden der FDP/DVP-Fraktion im Stuttgarter Landtag sicher.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben derzeit rund 18 Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland einen sozialversicherungspflichtigen Job. Damit sei die Beschäftigungsquote hierzulande wesentlich niedriger als etwa in Dänemark oder den Niederlanden, wo bereits über 40 Prozent der Ukraineflüchtlinge einer Erwerbstätigkeit nachgehen, merkt Haußmann an. Wie sich die Arbeits-, aber auch Beschulungssituation der ukrainischen Flüchtlinge im Rems-Murr-Kreis darstellt, war Gegenstand einer Kleinen Anfrage, die Goll und Haußmann an die Landesregierung gestellt haben. Wie aus der Antwort des Ministeriums der Justiz und für Migration vom 12. Oktober hervorgeht, wurden dem Rems-Murr-Kreis seit Beginn des russischen Angriffskrieges 6.549 ukrainische Flüchtlinge zugeteilt, darunter elf unbegleitete Minderjährige.

Schnellere Vermittlung in den Job ermöglichen

Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit (Stand: Februar 2023) gibt es im Rems-Murr-Kreis insgesamt 464 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus der Ukraine (im Februar 2022 waren es 87; im September letzten Jahres 413). „Häufig scheitert die Arbeitsaufnahme daran, dass Betreuungsplätze für Kinder fehlen oder die Anerkennungsverfahren für Berufsabschlüsse viele zu lange dauern“, betont Julia Goll, die im Stuttgarter Landtag den Wahlkreis Waiblingen vertritt.

Während es vor allem für Mütter mit Kindern wichtig sei, dass Sprach- und Integrationskurse überwiegend familien- und betreuungsfreundlich morgens stattfinden, müssten laut Goll aber auch die Maßnahmen weiter ausgebaut werden, die eine Berufstätigkeit parallel zum Spracherwerb ermöglichten: Angebote wie die der Volkshochschule Unteres Remstal, Kurse nicht nur vormittags, sondern insbesondere für Berufstätige auch nachmittags sowie in den Abendstunden oder gar am Wochenende durchzuführen, seien hier sehr hilfreich, ist sich die innenpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion sicher.

Auch Andreas Frankenhauser, Leiter der Volkshochschule Winnenden, Leutenbach und Schwaikheim, würde gerne ein noch umfangreicheres und flexibleres Kursangebot bereitstellen: „Der extreme Dozentenmangel hindert uns jedoch daran, die dringend benötigten Kurskapazitäten weiter auszubauen.“ Die Wartelisten für Integrations- und Sprachkurse seien lang; laut Frankenhauser müssten der Bund bzw. das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) dringend eine bessere Finanzierung der Kurse sicherstellen, um durch bessere Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte mehr Kurse starten zu können. Das Land, das seit vielen Jahren pro Kursplatz nochmals weniger als der Bund bezahle, könnte ebenfalls das seinige zur Verbesserung der Situation beitragen, so die Meinung Frankenhausers.

Auch bis zum berufsspezifischen Spracherwerb, den viele Arbeitgeber fordern, vergehe immer noch viel zu viel Zeit, ergänzt der Schorndorfer Abgeordnete Jochen Haußmann. Deswegen setze sich die FDP-Fraktion dafür ein, „die Aufteilung zwischen berufsspezifischem und allgemeinem Spracherwerb aufzulockern“. Hier sei das BAMF gefordert, verstärkt kombinierte Sprachkurse mit passgenauem Fachwortschatz anzubieten. Neben einem grundsätzlich schnelleren Anerkennungsverfahren für Berufsabschlüsse sollten insbesondere ukrainische Erzieherinnen und Erzieher auch ohne formale Anerkennung ihren erlernten Beruf ausüben können, so Haußmann. „Damit würden sie nicht nur selbst in die Erwerbstätigkeit gelangen, sondern diese auch anderen Geflüchteten ermöglichen, indem die Kinderbetreuung gewährleistet ist.“ Zudem sollte es Unternehmen leichter möglich sein, Geflüchtete ohne gute Deutschkenntnisse zu beschäftigen und berufsbegleitend weiter zu qualifizieren, so der Vorschlag von Goll und Haußmann: „Viele Beispiele zeigen, dass der Spracherwerb am Arbeitsplatz besser und nachhaltiger ist als im Sprachkurs.“

Es gebe nicht nur einen Grund bzw. eine Ursache, weshalb sich die Aufnahme einer Berufstätigkeit schwierig gestalte, ist sich Goll sicher: „Hier greifen viele Rahmenbedingungen negativ ineinander, die einen schnelleren Einstieg in den Arbeitsmarkt verhindern.“ Nach Ansicht der FDP-Abgeordneten gehört auch die derzeitige Regelung auf den Prüfstand, nach der Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland leben, direkten Zugang zum Bürgergeld haben. Die FDP fordert seit längerem, dass eine Gleichstellung mit anderen Flüchtlingen notwendig ist, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. „Es darf hier kein Zugang zum Bürgergeld stattfinden“, betonen Goll und Haußmann. Das vorrangige Ziel müsse immer sein, „Zugang zum Arbeitsmarkt und eine Beschäftigung zu erhalten.“

Jugendlichen berufliche Perspektiven aufzeigen

Da es sich bei den Geflüchteten aus der Ukraine überwiegend um Frauen, Kinder und Jugendliche handelt, war auch das Thema „Beschulung minderjähriger Flüchtlinge“ Gegenstand der FDP-Anfrage. Laut Landesregierung wurden Anfang Oktober insgesamt 1.138 ukrainische Schülerinnen und Schüler an öffentlichen Schulen im Rems-Murr-Kreis beschult: Davon besuchten 257 eine Regelklasse und 340 eine VKL-Klasse (Vorbereitungsklasse) an allgemeinbildenden Schulen, 386 junge Menschen nahmen nach intensiver Sprachförderung gleichzeitig am Unterricht einer Regel- und VKL-Klasse teil. Innerhalb der Beruflichen Schulen erhalten derzeit 146 junge Geflüchtete in VABO-Klassen (Vorqualifizierungsjahr Arbeit/ Beruf) eine intensive Sprachförderung, neun Schülerinnen und Schüler besuchen dort eine Regelklasse.

„Vor allem wegen des massiven Lehrermangels ist die Integration der ukrainischen Kinder und Jugendlichen ein Kraftakt für die Schulen“, so Goll. Zahlreiche Gespräche mit Schulleitungen und Personalräten zeigten deutlich, „dass die Lehrkräfte, die hier ein unglaubliches Engagement zeigen, an ihre Grenzen stoßen.“ Die Schulen benötigten für ihre wichtige Aufgabe „nicht nur zusätzliche Räume, sondern erheblich mehr personelle und fachliche Unterstützung, damit die Integration gelingen und man den jungen ukrainischen Geflüchteten eine berufliche Perspektive aufzeigen kann“, betont Haußmann. Angesichts des herrschenden Fachkräftemangels sei dies für die Unternehmen der Region „auch eine riesige Chance, dringend benötigte Fachkräfte zu gewinnen.“

Die Kleine Anfrage „Ukrainische Geflüchtete im Rems-Murr-Kreis“ der Abgeordneten Julia Goll und Jochen Haußmann (Drucksache 17/5434) kann unter folgendem Link abgerufen werden: